Wirtschaftsspiegel Thüringen - Ausgabe 4/15 - page 8

Automotive
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Mitarbeiter ihrer eigenen Zulieferer ab-
zuwerben, indirekt durch Headhunter,
wie mir Mitgliedsunternehmen berich-
ten, ist die andere Seite der Betrach-
tung. Dies bestreitet die Geschäfts-
führerin der Opel GmbH zwar noch
immer, aber wir wissen es besser. Ich
habe einen Artikel der Thüringer All-
gemeinen zum Anlass genommen, um
das Verhalten von Opel zu kritisieren.
Minister Tiefensee hatte darin mitge-
teilt, dass Opel die Förderung der
Umschulungskosten neuer angeworbe-
ner Mitarbeiter beantragt hatte, die in
der Region geworben wurden. Auch
dies ist zulässig, wenngleich aus Sicht
des AT ein wenig despektierlich.
Die Mitarbeiter in unseren AT-Mit-
gliedsfirmen haben wir gebeten, darü-
ber nachzudenken, dass ein sicherer
Arbeitsplatz wichtiger sei als eine Tarif-
entlohnung bei Opel, zumal wir in den
letzten 25 Jahren haben erleben müs-
sen, dass eine dritte Schicht im Opel
Werk schneller mit hohen Sozialplan-
kosten abgebaut wird, als sie nunmehr
wieder aufgebaut wird. Ein solches
Verhalten können wir uns im Mittel-
stand gar nicht leisten.
Ja, wir konkurrieren in unserer Branche
um Fachkräfte gegen einen Stundenlohn
von rund 30 Euro im VW-Werk Kassel ge-
gen Durchschnittslöhne von 15 bis 19
Euro in Thüringen. Die Angelegenheit ist
einfach zu regeln, indem uns die OEMs
die Preise zahlen, die uns in den Stand
versetzen, solche Löhne zu zahlen. Ich
bin sicher, dann hätte auch Opel weniger
Erfolg in der Abwerbepolitik.
Stichwort Aus- und Weiterbildung.
Inzwischen ist der erste Jahrgang jun-
ger Meister mit ihrer einjährigen
Ausbildung fertig geworden, die nicht
zuletzt auf die Initiative des AT zu-
rückgeht. Wie fällt Ihr Fazit aus?
wenn wir die Stellung nicht verlieren
wollen. Unsere Wettbewerber im
Verteilungskampf sind sicher Baden-
Württemberg, Hessen oder Bayern.
Wichtiger ist aber der Blick nach China,
in die USA, nach Brasilien, Mexiko und
demnächst auch nach Indien.
Wir müssen um so viel besser sein, als
wir teurer sind, das ist die Zielrichtung.
Wir müssen uns zusammenschließen,
Synergien in Thüringen schaffen, gegen
die kleinteiligen Strukturen angehen,
durch vernünftige Fusionen, Überkreuz-
beteiligungen, um schlagkräftiger zu
werden, wir müssen den Ball aufneh-
men, hier zu entwickeln, zusammen
oder mit Hochschulen und auch im
Ausland zu produzieren.
Wir müssen daran arbeiten – wir alle in
Thüringen –, dass wir nicht als verlän-
gerte Werkbank gesehen und nur so
lange genutzt werden, so lange der
Kunde noch zu zahlen bereit ist. Wenn
wir dies nicht schaffen, werden wir ver-
lieren. Auch die einseitige Maximie-
rungspolitik der OEMs, die Verlagerung
der Risiken des Wirtschaftens und des
Marktes auf uns Zulieferer schadet uns
und muss geändert werden. Das Glas
kann nicht nur halb voll oder ganz voll
sein, mitunter ist es nur zu groß! Es gibt
immer Alternativen.
Abschließend eine persönliche Bemer-
kung: Ich bin nunmehr seit 25 Jahren in
Thüringen tätig. Diese Zeit des Aufbaus
war die schönste und interessanteste in
meinem Berufsleben. Es war auch die
emotionalste Zeit, als „Zonenflüchtling
im Jahr 1951“ am Aufbau in Thüringen
teilgenommen zu haben und noch mit-
wirken zu können. Ich bin persönlich
hier angekommen.
Interview: Torsten Laudien
Sehr gut! Wir konnten – bei gleichen Ausbildungs-und
Prüfungsinhalten – 10 ehemaligen verdienten Fach-
arbeitern eine Meisterausbildung in neun Monaten er-
möglichen. Die Prüfungsergebnisse waren überdurch-
schnittlich gut. Das war zu erwarten, denn die
Ausbildung wurde von Montag bis Freitag täglich kon-
zentriert durchgeführt. Im für unsere Branche typi-
schen 3- oder 4-Schichtbetrieb ist die Meisterprüfung
neben dem Berufsalltag kaum zu schaffen und die
Abbruchquote ist sehr hoch - leider auch an den
Hochschulen.
Ein Gedanke beim Thema Bildung ist mir wichtig: Wir
brauchen nicht nur die akademische Ausbildung, son-
dern wir müssen gerade in der Automobilindustrie den
Mittelbau, die Meister- und Technikerausbildung ver-
stärken. Industrie 4.0 kommt auf uns zu, wie immer
diese neue Herausforderung aussehen wird. Es ist öf-
fentlich nicht immer bekannt, dass die Meisterprüfung
im Ausbildungsranking zwischen 0 und 10 auf Stelle
6 liegt. Damit ist über den zweiten Bildungsweg der
Weg zur Hochschule offen. Der Produktionsvorstand
der MITEC AG hat eine solche Ausbildung durchlau-
fen, vor mehr als zehn Jahren auf einer privaten
Bildungseinrichtung in Frankfurt. Die Karriereleiter
nach oben im Unternehmen steht damit offen. Unser
Bildungsangebot für Meister in Thüringen dürfte
Modellcharakter auch für andere Branchen haben.
Zum Ende wollen wir nochmal allgemeiner werden.
Wir feiern in diesem Jahr 25 Jahre deutsche Einheit.
Da sind gerade Sie mit Ihrer besonderen Biografie
und Ihrem wirtschaftlichen Engagement in Thürin-
gen gefragt: Wie gut ist uns die Einheit geglückt?
Wo haben wir Reserven?
Ich bin ein wenig traurig, wenn ich hier und da beob-
achte, dass die Entwicklungen der letzten 25 Jahre
teilweise negativ beschrieben werden. Fragen Sie im
Ausland und Sie werden feststellen, dass diese
Entwicklung in den neuen Ländern als zweites Wirt-
schaftswunder beschrieben wird. Wir haben die Soli-
darität der Westländer und die eigene Solidarität
durch Fleiß, Ideen, durch Bildung und durch Ausdauer,
auch durch gute Wirtschaftspolitik im Lande in
Wirtschaftsleistung umgesetzt.
Thüringen steht dabei ganz vorne. Natürlich gibt es
noch viel zu tun und wir müssen uns sehr anstrengen,
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